Forschungsprogramm

Transformationsdynamiken im Wissenschaftssystem und die Schnittstellen von Management und Kommunikation

Wissenschaft als methodisch geleitetes System zur Schaffung neuer Erkenntnis und wahrheitsfähiger Aussagen muss sich stetig mit veränderten internen und externen Bedingungen auseinandersetzen. Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationsdynamiken und Herausforderungen ist immer stärker theoretisch und methodisch gerahmtes sowie sozial robustes Lösungswissen gefordert. Zugleich haben Modernisierungen der letzten Jahrzehnte innerhalb des Wissenschaftssystems selbst eigenständige Strukturentwicklungen ausgelöst, die sich auf die Bildungs- und Forschungsfunktion massiv ausgewirkt haben und weiter auswirken:

  • Erstens sind unter Schlagwörtern wie beispielsweise Autonomie, Transfer, Bologna, Digitalisierung, Heterogenität, Öffnung eine Vielzahl zusätzliche Aufgaben definiert oder bestehende Aufgaben erweitert worden. Diese sind ohne ein funktionierendes Wissenschaftsmanagement, das die notwendigen strategischen und operativen Leistungen in Lehr- und Forschungsprozessen an den Einrichtungen unterstützt, nicht zu bewältigen.
  • Zweitens besteht ein Bedarf am öffentlichen Beitrag wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gesellschaftlicher Entwicklung und Problembearbeitung, sowie an der Legitimierung öffentlich finanzierter Wissenschaft. Hierbei ist, neben guter Wissenschaft selbst, besonders die Wissenschaftskommunikation gefragt, deutlich mehr zu tun, als die Ergebnisse der wissenschaftlichen Wissensproduktion öffentlichkeitswirksam zu ‚vermarkten‘. Vielmehr sind mittels Wissenschaftskommunikation die komplexen Austauschbeziehungen zwischen Wissenschaft und verschiedenen Öffentlichkeiten zu gestalten, um adressatengerechte Vermittlung von wissenschaftlichem Arbeiten und Erkenntnissen, sowie zunehmend Partizipation zu ermöglichen.

Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation lassen sich somit deutlich als neuartige Praxen der Wissenschaftssystementwicklung identifizieren. Ihre systematische und ebenso praxisorientierte, wie forschungsorientierte Reflexion stellt eine wichtige Aufgabe der Hochschul- und Wissenschaftsforschung dar.

Forschungsirritierte Praxen – praxisirritierte Forschung

Sowohl Wissenschaftsmanagement als auch Wissenschaftskommunikation erfüllen Schnittstellenfunktionen und stehen im Spannungsfeld von wissenschaftsinternen und -externen Prozessen und Erwartungen. Beide Themenfelder vermitteln zudem sowohl zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, als auch zwischen den Bereichen Lehre und Forschung, sowie deren Administration. Sie helfen damit, die wissenschaftlichen Prozesse methodisch geleiteten Erkenntnisgewinns und akademischer Lehre aufrecht zu erhalten.

Die Forschung zu Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation wird ständig durch die Erfahrungen der Praxis irritiert, während zugleich Praktiker.innen beider Themenfelder mit der Übertragung von neuen Erkenntnissen aus der Forschung in die Organisation hinein herausgefordert sind. Die Praxis in Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation muss sich dem Anspruch stellen, selbst auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu funktionieren statt eines „learning by doing“ bzw. “trial and error” oder in anderer Form primär erfahrungsgesättigt. Die Praxisirritation durch einen reziproken Transfer hingegen ermöglicht die soziale Robustheit der Forschungsergebnisse, die sich eben nicht nur auf innerwissenschaftliche Diskurse bezieht, sondern sowohl Fragestellungen aus der Praxis aufgreift als auch ihre Lösungsvorschläge in dieser überprüft.

Angesichts ähnlicher Herausforderungen und Zielhorizonte bestehen somit zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation. Wir wollen deshalb eine integrierende Perspektive auf die beiden Felder stärker als bisher in den Fokus der Wissenschafts- und Hochschulforschung stellen, um blinde Flecken und Forschungslücken in der Reflexion und Weiterentwicklung der Praxis anzugehen, insbesondere im Hinblick auf:

  • Überwindung einer entkoppelten Perspektive auf Wissenschaftsmanagement und -kommunikation durch stärkere Integration der Forschungsperspektive auf Praktiken von Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation.
  • Theoretische Fundierung zur Schnittstellenfunktion und Zusammenführung der verschiedenen disziplinären Zugänge sowie Reflexion der gegenseitigen Beobachtungsstandpunkte.
  • Beforschung von Professionalisierung, Rollen und Funktionen in beiden Handlungsfeldern sowie Abgrenzung wie wechselseitige Bezugnahmen zwischen Management- und Kommunikationsfunktionen in den einschlägigen Berufsbildern.

Verkopplungen im Graduiertenkolleg „WiMaKo“

Das Graduiertenkolleg „Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation“ widmet sich diesem Themenkomplex in enger Anbindung an das Forschungsfeld Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Die Verzahnung von Forschung und Praxis sowie von Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation verfolgen wir im Kolleg in dreierlei Hinsicht:

  1. über methodisch-geleitete Wissensproduktion in Gestalt empirischer Evidenzen und theoretischer Reflexion zur Praxis;
  2. durch Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in anwendbares Praxiswissen;
  3. durch Spiegelung der gegenseitigen forschungs- und praxisbezogenen Übertragbarkeitspotenziale.

Im Graduiertenkolleg qualifizieren sich derzeit 16 Hochschul- und Wissenschaftsforscher.innen, die selbst überwiegend aus der Praxis kommen und berufsbegleitend promovieren sowie drei Habilitand.innen. Als Grenzgänger vermitteln sie sowohl zwischen den beiden Themen als auch zwischen Forschung und Praxis. Indem das Kolleg die Verbindung dieser verschiedenen Perspektiven in der Hochschul- und Wissenschaftsforschung stärkt, sorgt es dafür, dass sich die Felder des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftskommunikation treffen und zwar sowohl in der Anwendungspraxis als auch in den wissenschaftlichen Communities.

Die engere Kopplung der Forschungsaktivitäten zu Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation löst nicht alle eingangs erwähnten Herausforderungen. Die Verzahnung kann in der Praxis aber bereits jetzt ertragreiche und teils kontroverse Diskussionen in den Einrichtungen anregen: als Kommunikation des Managements und als Management der Kommunikation.

Langfristig zielt die gestärkte Verbindung beider Forschungsfelder darauf ab, das Wissenschaftssystem besser für seine praktischen Herausforderungen zu ertüchtigen, weitere Forschungslücken aufzuspüren, Desiderate aus der Praxis zu bearbeiten sowie den Austausch zwischen Forschung und Praxis weiter zu stärken.

Zugleich können die bearbeiteten Problemstellungen indes im Kolleg zwar verkoppelt, jedoch nicht komplett integriert werden, da die Multiperspektivität des kollegrahmenden Themenkomplexes eine hinreichende theoretische und methodische Offenheit in den konkreten Untersuchungskontexten zwingend erforderlich macht. Ziel der Kollegaktivitäten ist mithin nicht die Vereinheitlichung von Begriffskonzepten und Diskursebenen, sondern ihre produktive Gegenüberstellung, als Methode innovativer und reflexiver Forschung.

Themencluster, die im Graduiertenkolleg bearbeitet werden

Im Graduiertenkolleg werden die geschilderten Schnittstellen und Herausforderung entlang von vier Themenclustern bearbeitet, die unterschiedliche Schwerpunkte auf Lehre, Forschung, Umwelt sowie die Gesamtheit dieser Bereiche setzen. Dabei sind in den einzelnen Projekten Aspekte des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftskommunikation zentral für das Untersuchungsprogramm.

Forschung und Transfer: Die Rolle von Umweltbeziehungen für hochwertige Forschung

Wissenschaftliche Einrichtungen und Wissenschaftler.innen setzen in ihrer Forschungstätigkeit vermehrt auf Zusammenarbeit in Netzwerken und Kooperationen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, häufig lässt sich dahinter ein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Prozesse, etwa durch Partizipation außerwissenschaftlicher Bereiche und Gruppen, oder auch nach besserer Positionierung im wettbewerblichen Umfeld erkennen. Diese Umweltbeziehungen werden einerseits kommunikativ geführt, andererseits gibt es dafür spezialisierte Strukturen im Wissenschaftsmanagement. Im Kolleg werden konkret vier Promotionsprojekte in diesem Themencluster bearbeitet:

  • Governance von internationalen Hochschulkooperation
  • Vermittlung gleichberechtigter Forschungskooperationen mit und aus dem Globalen Süden
  • Lokale Kooperationen von Universitäten im Zuge des Wandels der Promotion
  • Variationen des Managements von Transferaktivitäten

Lehre und Transfer: Qualität von Lehre in der transformativen Gesellschaft

Studium und Lehre haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Zum einen ist die Heterogenität der Studierenden stetig gestiegen. Daneben hat das Studium durch Strukturveränderungen seinen Charakter verändert. Nicht zuletzt haben auch die Ansprüche an berufsbefähigenden und sozialen Kompetenzerwerb zugenommen. Dies wirkt zum einen darauf, wie über Studium und Lehre kommuniziert wird, zum anderen welchen Wissensbedarf die Hochschulen durch geeignetes Management bewältigen müssen. Im Kolleg werden konkret fünf Promotionsprojekte in diesem Themencluster bearbeitet:

  • Die Kultur des Zusammenlebens von Hochschulen mit ihrem Gemeinwesen im Prozess des Engagierten Lernens
  • Die Evaluation von kompetenzfördernden Maßnahmen
  • Wissenstransfer durch Innovationsprojekte in Studium und Lehre
  • Wirkung von MINT-Vorkursen auf den Studienerfolg
  • Wandel von Lehre und Studium am Beispiel Qualitätsmanagement

Forschung und Lehre: Bedingungen der Selbstorganisation von Wissenschaft

Die Reformen im Hochschulsystem haben die Art, wie wissenschaftliche Einrichtungen sich organisieren, massiv verändert. Zu nennen wären hier etwa die gestärkte Autonomie, vermehrter Wissenschaftswettbewerb und die Einführung hierarchischer Elemente in der Organisation. Dies alles hat Auswirkungen auf die Schaffung von Wissenschaftsmanagementpositionen und der Rolle der Außenkommunikation. Im Kolleg werden konkret drei Promotionsprojekte in diesem Themencluster bearbeitet:

  • Vertrauen innerhalb der „organisierten Anarchie“
  • Hochschulgovernance, Hochschulkommunikation und die Nachfrage internationaler Studierender
  • Wandel von Informationsinfrastrukturen an Hochschulen

System: Wandel der Rollen von Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation für das Wissenschaftssystem

Jenseits der jeweiligen Entwicklungen in den Leistungsbereichen Lehre und Forschung sind Veränderungen systemischer Art im Wissenschaftsbetrieb zu beobachten, die grundsätzlich das Verhältnis zu anderen Teilsystemen der Gesellschaft berühren. Hier stellen sich Fragen der Legitimation, des Vertrauens und der Formen von Wissensproduktion. Diese schlagen sich in der Praxis zugleich über Entwicklungen im Wissenschaftsmanagement und in der Wissenschaftskommunikation nieder. Im Kolleg werden konkret vier Promotionsprojekte in diesem Themencluster bearbeitet:

  • Wandel von Kommunikationsweisen in der Forschungsförderung
  • Technikfolgenabschätzung zweiter Ordnung
  • Postfaktisches Zeitalter, digitaler Wandel und Vertrauensbildung in der Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
  • Die Institutionalisierung von Citizen Science

Die vertiefte Beschäftigung mit diesen vier Themenclustern verbindet das Graduiertenkolleg mit zahlreichen Strängen der aktuellen Hochschulforschung. Neben der Vernetzung mit den dort Forschenden, hoffen wir selbst wichtige Impulse geben zu können, um die Erkenntnisse zu diesen Themen zu erweitern.