Blogposts,  Startseite

Mit Improvisation gegen schwarze Kacheln und enttäuschte Erwartungen – der Umgang mit der Krise in Studium und Lehre

Videokonferenz statt Kaffee und Keksen im Kongresszentrum, Lernplattform statt Klassenraum, Homeoffice statt Großraumbüro, Treffen an der Parkbank statt in der Bar – die Corona-Pandemie hat seit 2020 Kommunikationsprozesse und -räume in allen gesellschaftlichen Bereichen grundlegend verändert. Wie hat sich dies auf Hochschulen und den Lehr- und Studienalltag ausgewirkt? Das war die zentrale Frage der Online-Tagung „Kommunikation in der Krise – Lehre und Lernen an Hochschulen in Zeiten der Corona-Pandemie“, der Magdeburger Ausgabe des #WIMAKOForums.

Im Rahmen der Tagung im November 2021 wurden Lehre und Lernen als Kommunikationsprozesse gefasst, die in Nicht-Krisenzeiten Erwartungen, Erwartungserwartungen und sozialen Praktiken folgen, die in Krisenzeiten aber vor Herausforderungen gestellt werden. Eingeübte Erwartungen an Lern- und Lehrsettings und Praktiken werden enttäuscht, mindestens aber irritiert und müssen neu ausgelotet werden – sozialer Wandel wird notwendig. Optimist*innen würden wohl von der ‚Krise als Chance‘ sprechen, der weniger optimistische Blick rückt eher die damit einhergehende Überforderung aller Beteiligten in den Blick.

Soziale Praktiken im Digitalen oder Die Angst vor den schwarzen Kacheln

Sowohl Lehrende als auch Studierende mussten sich mit Beginn der Corona-Maßnahmen auf einen komplett neuen (Lehr- und Studien-)Alltag einstellen, zunächst mit dem Gefühl, die entsprechenden neuen Praktiken weder zu kennen noch zu beherrschen. Wie lehrt, wie lernt man ausschließlich auf Distanz und mit Hilfe digitaler Medien? Im Seminarraum sind alle Anwesenden wahrnehmbar, sie sind physisch anwesend, sichtbar. Im Seminarraum kann man sich nicht verstecken. Die Kamera im Zoom-Meeting auszuschalten, erfordert dagegen nur einen Klick (sofern sie nicht sogar erst aktiv eingeschaltet werden muss). Die nachvollziehbare Irritation über die Vermischung von Privatem und Öffentlichem im digitalem Seminarraum bei allen Beteiligten trifft auf die verunsichernde Situation des In-die-Leere-Dozierens und verstärkt das Gefühl der immer größer werdenden Distanz. Das Schreckgespenst der ‚schwarzen Kacheln‘ wurde im Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Philipp Pohlenz (OVGU Magdeburg) überzeugend illustriert.

Letztlich bleibt es aber eine Frage der Erwartungen: Erwarten Dozierende und Studierende, dass die zuvor eingeübten Praktiken erhalten und schlicht in den digitalen Raum übertragen werden? Welche Erwartungen haben Lehrende darüber, was Studierende von ihnen bezüglich der Gestaltung der Lehre erwarten? Welche Erwartungen haben Studierende darüber, was Lehrende von ihnen über die eigene, aktive Gestaltung (oder die Fähigkeit zur Gestaltung) des Lernens erwarten? Wird erwartet, dass der Lehr- und Lernprozess in der neuen Situation gemeinsam gestaltet wird oder sieht eine Seite die andere (mehr) in der Pflicht?

Philipp Pohlenz resümierte in seinem Eröffnungsimpuls, dass gerade der Versuch, soziale Praktiken aus der Präsenzlehre unverändert ins Digitale zu überführen, häufig nicht zielführend war. Hier gebe es noch viel ungenutztes Potential für innovativere Formen, Zugänge und allgemein den Umgang mit der nach wie vor nicht beendeten Pandemie.

Was hilft?

Was waren aber produktive Maßnahmen, Formate und Erkenntnisse aus der Zeit der digitalen Corona-Lehre? Dies war eine weitere zentrale Frage der Tagung, der immer wieder in den verschiedenen Vorträgen und Diskussionen nachgegangen wurde. Zum einen gab es grundlegende Beobachtungen bzw. Forderungen: So müsse, ganz basal, der (soziale) Raum für den Austausch dringend auch im Digitalen geschaffen werden. Das meint, sowohl die Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden als auch den Austausch zwischen den Studierenden selbst durch aktive Gestaltung zu ermöglichen.

Zum anderen gab es etliche konkrete Beispiele, die teilweise aus den Ergebnissen empirischer Befragungen, aber auch aus theoretischen Überlegungen abgeleitet waren. Die Empirie hat gezeigt, dass die Arbeit in Kleingruppen produktiv ist, ebenso Formate zur Herstellung von Gemeinschaft, gerne auch außerakademischer Art – etwa die Verbindung von Literaturbesprechung mit einem Brunch oder der Jubiläumsfeier eines Lehrprojekts. Mit Blick auf die hohe Relevanz des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung gab es den Vorschlag, Studierende in die Planung der Lehre einzubeziehen, was zum einen ohnehin inhaltlich sinnvoll sei, zum anderen aber auch Lehrende entlasten könne (Alexander Chmelka, Magdeburg).

Aus Studierendenperspektive wurden viele Aspekte genannt, die das eigene Arbeiten und Leben positiv beeinflussen: etwa ein geregelter Tagesablauf, Ortswechsel, Routinen, die Akzeptanz der neuen Situation sowie das soziale Umfeld (Sarah Briese, Jasmin Dabitz und Paul Schubert, Magdeburg).

Improvisation als Strategie?

„Was wir oft unter Improvisation verstehen, ist die Herstellung
von etwas Neuem. Dies schließt das vorgeschriebene Raster gerade nicht aus, denn es macht die Improvisation erst möglich.“ (Coleman, Derrida 1997, 39)

Erwartungen und soziale Praktiken helfen, die Komplexität der sozialen Welt handhabbar zu machen. Können die bisher üblichen Erwartungen und Praktiken in der Krisensituation plötzlich nicht mehr angewendet werden, und gilt das nicht nur für den Studien- und Arbeitsalltag, sondern auch für alle anderen Bereiche des Lebens, entsteht leicht das Gefühl der Überforderung. Inwiefern Improvisation eine mögliche Strategie zum Umgang mit den komplexen Bedingungen und Herausforderungen der Pandemie sein kann, hat Theresa Franke (Magdeburg) im Gespräch mit Kathrin Westhölter (Berlin), begleitet von einem Graphic Recording von Christoph Illigens (Köln), diskutiert. Eine konstruktive Herangehensweise sei, die Krise erst einmal als gestaltbare und neutrale Situation anzunehmen. Gerade die Notwendigkeit, neue Praktiken zu entwickeln und zuvor unhinterfragte Abläufe wieder neu zu betrachten und zu gestalten, eröffnet Chancen und Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Noch nicht jeden Schritt routiniert zu kennen und an einigen Stellen improvisieren zu müssen, kann Flexibilität, Resilienz und Kreativität fördern.

Auch in diesem Impuls spielten Erwartungserwartungen eine Rolle – was glaubt die Hochschulleitung von den Bedürfnissen der Studierenden zu wissen? Werden sie befragt oder wird erst einmal gehandelt, ohne wirklich zu wissen, was die Studierenden sich wünschen? Wie geht man mit Versprechungen um in einer Situation, in der man eigentlich nichts voraussagen kann? Und wie transparent werden Erwartungen – von beiden Seiten – formuliert und kommuniziert?

Herausforderungen, Chancen und Lehren – ein Resümee

Was nehmen wir aus der (nach wie vor nicht beendeten) Krise für das Lehren und Lernen mit? Die folgenden Tweets fassen den abschließenden Beitrag der Tagung von David Lohner, Ronny Röwert, Anita Sekyra und Isabel Steinhardt (AEDIL) zusammen und können als Resümee des sehr produktiven Austauschs im Rahmen des digitalen Magdeburger WIMAKO-Forums gelesen werden. Die nächsten Semester werden zeigen, wie die hier diskutierten Erkenntnisse in neue digitale, hybride und präsente Lehre umgesetzt werden und wie sich neue Erwartungen, Erwartungserwartungen und soziale Praktiken etablieren.